Donnerstag, 30. Juli 2015

Zwei neue Kulturbaustellen


Pilsen ruht sich nicht aus

In Pilsen gärt es immer. Das ist natürlich keine Neuigkeit in einer Stadt, die in aller Welt als Biermetropole bekannt ist. Aber auch in der Pilsner Kulturszene gärt es. Was man seit der Eröffnung des Kulturhauptstadt-Jahres bemerken kann. Besonders erfreulich ist aber die Tatsache, dass die westböhmische Stadt sich nicht auf den Lorbeeren ausruht, die sie sich seit Jahresbeginn mit reichen, interessanten Veranstaltungen zu Kunst, Theater, Musik und Literatur rechtschaffen verdient hat, sondern dass sie – obwohl die zweite Halbzeit schon angepfiffen worden und im Gange ist – immer noch neue Projekte auf den Plan bringt.

Zum Beispiel die Adolf-Loos-Interieurs. Ich habe in meinen Texten schon zweimal davon erzählt: einmal etwas ablehnend der Person und dem Privatleben von Loos gegenüber, das andere Mal voller Begeisterung und Hochachtung vor der Leistung dieses böhmisch-österreichischen Architekten und Designers, aber auch voller Trauer über das Geschick seiner jüdischen Auftraggeber.

Auf Adolf Loos aber komme ich hier noch einmal zurück. Das Westböhmische Museum lässt derzeit eine Wohnung restaurieren, die sich über zwei Etagen einer Villa in der Klatovská třída Nr. 110 hinzieht. Das äußerlich (noch) unauffällige Haus – wie alle Bauten mit Adolf-Loos-Interieurs – war in den zwanziger Jahren des vorigen Jahrhunderts für  leitende Angestellte der Ṧkoda-Werke erbaut, dann aber 1932 von Oskar und Jana Semler gekauft worden (eine jüdische Unternehmerfamilie, die dem Holocaust rechtzeitig durch Emigration entging). Und sie beauftragten Adolf Loos mit dem Entwurf der Inneneinrichtung, die aber wohl überwiegend von dessen Mitarbeiter Heinrich Kulka ausgeführt wurde (Loos starb 1933).

Die künftige Pilsner Sehenswürdigkeit (geplant ist auch die Einrichtung eines Dokumentationszentrums zur Pilsner Architektur vom 19. bis zum 21. Jahrhundert)  ist heute noch eine Baustelle. Doch gerade durch das Provisorische und Noch-nicht-wieder-Fertige, durch den stellenweise abgekratzten Lack der originalen Möbel, die von alltäglichem Gebrauch zeugen, durch die in Loos’ Lieblingsfarben Rot und Gelb lackierten, aber noch nicht angeschlossenen Heizkörper, durch die noch nicht gereinigten Schubladengriffe und die teilweise noch auszubessernden Schränke und Kredenzen, Fußböden und Wandverkleidungen vermittelt sie stärkere Emotionen, als sie dann die geschniegelten und gestriegelten Wohnungseinrichtungen geben. Im Oktober sollen die weiten Räume öffentlich zugänglich sein. Bei dem, was Pilsen in diesem Jahr an Effizienz gezeigt hat, glaube ich das ohne Vorbehalte.

Außenansicht der Semler-Villa in der Klatovská třída Nr. 110

Jan Brčák führt uns durch die von Adolf Loos entworfene Wohnung



Adolf Loos liebte farbige Heizkörper ...




... edle Materialien und klare Linien.

Originale Warmwasserrohre in einem der Badezimmer


Wunderschöne Glasgriffe an einer alten, leicht abgenutzten Kredenz



Im Toilettentisch spiegeln sich Tereza Svášková und Jan Brčák.

Und hier noch ein Porträt meiner treuen Begleiterin Tereza Svášková


Dann „Moving Station“, der ehemalige Südbahnhof „Plzeň Jižní předměstí“ (eigentlich: Pilsen Südvorstadt) als Kulturfabrik. Er war seit seinem Entstehen in den Jahren 1903/1904 eine Haltestelle an den Bahnstrecken Wien–Eger/Cheb und Prag/Praha–Furth im Wald, auf denen zur Zeit der Donaumonarchie viele Züge verkehrten.

Doch mit der Zeit verwahrloste der Bahnhof wie auch sein gleich nach Ende des Ersten Weltkriegs angelegtes Pendant, fand aber vor einigen Jahren das Interesse des Kulturvereins „Centrum Johan“. So wurde es wieder lebendig um das Gebäude, das zu experimentellen, alternativen Theater- und Tanzveranstaltungen genutzt wurde. Und jetzt wird es renoviert, mit großem Aufwand an Geld und moderner Technik.

Petr Beránek, der technische Leiter des neuen Projekts, hatte mir in dem von mir so gern besuchten Bistro Inkognito – wo ich ihn aus einem ganz anderen Grund angesprochen hatte – eine Werbebroschüre in die Hand gedrückt: „SPLNĚNÝ SEN – Moving Station se proměňuje“ (Ein Traum verwirklicht sich – Moving Station verwandelt sich). Ich fand das Unternehmen hochinteressant, und vor einigen Tagen durfte ich auch hier auf die Baustelle: provisorische Bretterpassagen, wacklige Stufen, Plastikplanen überall, Geruch nach Staub und Zement und Farbe. Vieles ist fertig, die zentrale, zweigeschossige Dvorana beeindruckt schon jetzt mit ihren modernen Stahl-Beton-Strukturen. Es herrschte Hochbetrieb, denn die offizielle Eröffnung dieser neuen, faszinierenden Bühne für Theater und Tanz, Tagungen und Ausstellungen ist für den 12. September angesetzt. „Grand opening“ – wie Petr Beránek mir heute mailte. Aber auch das wird Pilsen schaffen.

Petr Beránek, der technische Leiter von „Moving Station“

Hier nachfolgend mehrere Ansichten von den Restaurierungsarbeiten im ehemaligen Südvorstadt-Bahnhof in Pilsen, bei denen Tradition und Moderne in besten Einklang gebracht werden:
 











Meinen Hund Zampa scheinen die schicken roten Hosen von Petr Beránek mehr zu interessieren als die superteuren handgearbeiteten Fliesen, mit denen die Räume gepflastert werden.




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