Donnerstag, 17. September 2015

Auf Entdeckungstour in Bezdružice/Weseritz


Eine vergessene Synagoge

Škoda. Schade, wirklich schade. Eine so interessante Synagoge in einem so erbärmlichen Zustand. Von außen gleicht sie einem Schuppen, innen präsentiert sie sich mit Frauenemporen und Resten von Stuckverzierungen und allerdings sehr verblassten Deckenmalereien, wie sie im Pilsener Raum nur in wenigen Synagogen zu finden sind.

Ich war an Bezdružice/Weseritz schon mehrmals vorbeigefahren, auf dem Weg nach Konstantinovy Lázně/Konstantinsbad und nach Planá/Plan. Diesmal aber schaute ich mir die Ortschaft genauer an. Mein Fremdenführer für einen Tag war Sven Müller, eifriger Leser meines Blogs, Nepomukfan und Abkömmling einer deutschen Familie aus Weseritz. Seine im Jahr 1946 ausgesiedelte Mutter ist hier 1942 geboren, und die Geschichte seiner Familie mütterlicherseits hat er im akkurat recherchierten Buch „Die Holdschicks aus Weseritz“* zusammengefasst.

Sven Müller vor dem ehemaligen Haus seiner Großeltern


So kamen wir auch zur Synagoge, die niemand äußerlich als Synagoge erkennen würde. Sie war 1820 errichtet worden, von einer damals sicher ansehnlichen jüdischen Gemeinschaft, die im ausgehenden 19. Jahrhundert sogar elf Prozent der einheimischen Bevölkerung von Weseritz/Bezdružice ausmachte. Nach längeren Verhandlungen mit dem freundlichen Besitzerpaar durften wir auch hinein. Irena und Karel entschuldigten sich für den schlechten Zustand des Innenraums, für das hier garagierte Auto und das Holz- und Gerümpel-Durcheinander, wie es eben in einem Schuppen zu finden ist. Sie tun ihr Bestes, um den Bau wenigstens vor dem Verfall zu bewahren. Aber eine altehrwürdige Synagoge als Lagerraum tut weh, und zur Instandsetzung wäre Geld nötig. Dass sich da wirklich niemand findet, um dieses Denkmal jüdischer Kultur zu retten, bevor es zu spät ist?

Eine der Frauenemporen und Reste von Stuckornamenten und sehr verblassten Deckenmalereien



Irena und Karel mit Sven in der als Garage benutzten Synagoge



Sven und ich gingen dann durch das Dorf, vorbei an Häusern mit abblätterndem Putz, unter dem noch Spuren deutscher Namen zu erkennen sind,




vorbei am Floriansdenkmal mit reizenden Anrufen der Heiligen Nepomuk und Veit in deutscher Sprache.








Wir besuchten auch Jan Florian, den sympathischen, gebildeten und begeisterten Koordinator eines LEADER-Entwicklungsprogramms in Westböhmen. 

 
Jan Florian, der Koordinator eines westböhmischen Entwicklungsprogramms

Wir gingen zusammen essen. Ins Schloss-Restaurant. In der Hoffnung meinerseits, das alte, in mehreren Jahrhunderten umgestaltete Schloss und vor allem seine großartigen Glassammlungen besichtigen zu können. Aber ein neuer, offensichtlich gut betuchter Besitzer lässt das Bauwerk zwar aufwändig restaurieren, hält die Tore aber fest verschlossen.

Das Schloss Bezdružice beherbergt wertvolle, öffentlich nicht mehr zugängliche Glassammlungen.

Doch das Essen war gut, die Aussicht auf Ort und Umgebung reizvoll und das Gespräch über neue Pläne und Projekte hier in diesem abseitigen Städtchen so anregend, dass ich vergessen habe, Jan Florian nach Alois Weinert zu fragen. Er war 1875 in Weseritz geboren, hatte sich mit Krimis im Edgar-Wallace-Stil, die er in den dreißiger Jahren des 20. Jahrhunderts unter dem Namen Louis Weinert-Wilton verfasst hatte, weiten Ruhm als Schriftsteller erworben und war 1945 in Prag gestorben. In einem koncentrační tábor, einem der tschechischen Konzentrationslager. Die anscheinend die „Nachfolge“ der deutschen KZs angetreten hatten. 


* Sven Müller, Die Holdschicks aus Weseritz. Vom Zerfall der Donaumonarchie bis zum Verlust der Heimat. Norderstedt: Books on Demand 2009 

P.S.: Ich hatte gerade die Fotos in diesen Post eingegeben, als ich per Mail eine handschriftliche Postkarte bekam. Eben von Sven Müller. Ich hätte sie gern eingestellt, was mir aber technisch nicht gelang. So habe ich den Text kopiert: „Im Böhmerwald habe ich oft gedacht, wie schade es ist, dass Sie nicht dabei sein und einen Blog schreiben können. Glöckelberg ist eines jener im Grenzgebiet verschwundenen Dörfer. Ich traf dort eine Böhmerwalddeutsche, die bleiben musste. Sie betreut die renovierte Nepomuk-Kirche und das Mesnerhaus, in dem ein Museum über Johannes Urzidil und einen Pfarrer untergebracht ist, der freiwillig Typhuskranke im KZ betreute und selbst dabei umkam. Die Frau hat mir unglaublich interessante Einblicke in ihr Leben als Deutsche in der ČSSR gewährt ... Ich drücke die Daumen für die Veranstaltung im Haag.“

Zweites P.S.: Den Haag, eben. Die hier erwähnte Veranstaltung ist ein Pilsen-Abend in der Deutschen Internationalen Schule in Den Haag (eine Stadt, die ich nicht kannte). Ich bin quer durch Mitteleuropa hergefahren. Nachdem ich die Müdigkeit der 1000-Kilometer-Autofahrt von Pilsen her etwas überwunden hatte, schaute ich mich im eleganten Konsulats- und Botschaftsviertel um, in dem ich logiere. Zum Glück hatte ich den Fotoapparat dabei. Ich konnte kaum noch aufhören, und wenn die Sonne nicht untergegangen wäre, hätte ich mich von diesen faszinierenden Bauten zu noch vielen anderen Fotos animieren lassen.





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