Dienstag, 15. Dezember 2015

Der jüdische Junge Hanuš Josef Treichlinger aus Pilsen in der Rolle der berühmten Theresienstadt-Oper »Brundibár«

Nachdem die Stadtschreiberzeit von Wolftraud de Concini leider vorüber ist, bloggen auf ihrer Seite bis Ende des Jahres Schülerinnen des Geschichtslehrers Antonín Kolář über verschiedene Pilsener Themen. Das Projekt wurde initiiert vom Tschechischen Zentrum Berlin und vom Deutschen Kulturforum östliches Europa.

Brundibár ist eine Kinderoper in zwei Akten, geschrieben vom Komponisten Hans Krása und vom Librettisten Adolf Hoffmeister. Ihren größten Erfolg hatte sie während des Zweiten Weltkriegs im Ghetto Theresienstadt. Aufgrund ihrer Popularität wurde Brundibár von der NS-Propaganda missbraucht. Bis heute feiert das Stück Erfolge auf der ganzen Welt und beeindruckt Zuhörer aller Altersgruppen. In einem Propagandafilm der Nazis, der das »sorglose« Leben der Juden im Ghetto Theresienstadt darstellte, spielte auch ein jüdischer Junge aus Pilsen eine der Hauptrollen der Oper.

Von Markéta Kolářová, Masaryk-Gymnasium Pilsen

Propagandafotografie des Kinderchors aus dem Film Theresienstadt (Hanuš Josef Treichlinger mit der Drehorgel)
Foto: ©
Jüdisches Museum in Prag
Im Jahr 2014 hatten wir Gelegenheit, eine Sondervorstellung der Kinderoper Brundibár im Großen Theater in Pilsen zu sehen. Im Rahmen eines internationalen Partnerschaftsprojektes hatten Kinderchöre aus Pilsen und Regensburg die Oper einstudiert und ernteten mit ihr einen großen Erfolg.

Diese Oper ist allerdings eng mit einer traurigen Periode in unserer Geschichte verbunden. Der jüdische Komponist Hans Krása (1899–1944) und der Schriftsteller Adolf Hoffmeister (1902–1973) haben die Oper Brundibár im Jahr 1938 geschrieben. In Prag wurde ihre Vorstellung 1941 nur zweimal und das auch nur heimlich gegeben, denn der jüdischen Bevölkerung war zu dieser Zeit schon jegliche kulturelle Aktivität untersagt. Adolf Hoffmeister emigrierte, Hans Krása wurde im August 1942 nach Theresienstadt deportiert, und viele seiner Mitarbeiter und Kinderschauspieler folgten ihm bald. Im Ghetto Theresienstadt arbeitete Krása das Stück für ein kleineres Orchester um.

Der Musiker Rudolf Freundfeld, der sich nach dem Krieg in Franěk umbenannte, brachte Klavierauszüge der Komposition ins Ghetto und übernahm die Leitung der Proben. Diese fanden auf dem Dachboden der sogenannten Dresdner Kaserne statt. Aufgrund der Abtransporte aus Theresienstadt wurden die Proben ständig unterbrochen. Die Darsteller, die im Rahmen der „Endlösung“ in die Konzentrationslager im Osten gebracht wurden, mussten durch Kinder aus neu eingetroffenen Transporten ersetzt werden. Nach mehr als zwei Monaten Probenzeit fand die Premiere am 23. September 1943 in der Magdeburger Kaserne statt. Die Oper Brundibár war ein großer Erfolg und bis zum Herbst 1944, als die letzten Transporte Theresienstadt verließen, fanden 55 Vorstellungen statt, durchschnittlich einmal in der Woche.

Die Handlung der Kinderoper ist folgende: Die Geschwister Aninka und Pepíček haben eine kranke Mutter. Damit sie wieder gesund wird, müssen die Kinder für sie Milch besorgen. Da sie jedoch arm sind, können die Kinder keine Milch kaufen. Der Milchmann will ihnen keine Milch ohne Bezahlung eingießen. Die Kinder sind gerade dabei zu überlegen, wie sie sich das Geld beschaffen können, als auf dem Dorfplatz der Drehorgelspieler Brundibár erscheint. Als er zu spielen anfängt, werfen ihm die Menschen plötzlich Geld in seine Mütze. Die Geschwister glauben daher logischerweise, dass, wenn sie anfangen zu singen, sie genauso wie der Drehorgelspieler Geld verdienen können. Das Ergebnis ist aber katastrophal. Aninka und Pepíček werden nicht nur von einem Polizisten vertrieben, sondern bringen auch noch den Orgelspieler gegen sich auf. Verzweifelt schlafen sie auf der Straße ein. In der Nacht kriegen sie Besuch von einem Hund, einer Katze und einem Spatz, die beschließen, den Kindern zu helfen. Am nächsten Morgen trommeln sie alle Kinder aus der Nachbarschaft zusammen und gemeinsam schaffen sie es, mit ihrem Lied Geld für die Milch für die Mama zu bekommen. In dem Moment schleicht sich jedoch der böse Brundibár an sie heran und stiehlt den Kindern das Geld. Eine große Jagd geht los und schließlich überwältigen die Tiere zusammen mit den Kindern Brundibár und verjagen ihn.
Hanuš Josef Treichlinger spielt auf der Drehorgel in der Oper Brundibár
Foto: © Jüdisches Museum in Prag
In der Rolle des Drehorgelspielers Brundibár wirkte damals ein Pilsener Kind mit, der Junge Hanuš Josef Treichlinger, genannt Honza. Er wurde am 2. Januar 1929 in Pilsen geboren. Mit sechs Jahren wurde er Vollwaise und fand bei seinem Pilsener Onkel Beno Bloch, dessen Frau Ida eine geborene Treichlinger war, eine neue Familie. Hier wuchs er mit seinen Cousins Jiří und Rudolf auf. Im Januar 1942 wurde die ganze Familie zum Abtransport in das Ghetto Theresienstadt befohlen. Hier wurde der kleine Honza in den Jahren 1943–44 mit der Rolle des Drehorgelspielers Brundibár berühmt. Rudolf Franěk erinnert sich: »Er hatte es gelernt, mit dem Schnurrbart, der unter seiner Nase klebte, zu ›wedeln‹. Er wedelte damit so bravourös und genau im richtigen Moment, dass sich die Spannung, die im Zuschauerraum gerade entstanden war, löste, und man konnte oft ein erleichtertes Kinderseufzen hören.« Hanuš wurde in Theresienstadt so populär, dass eine jüdische Familie sogar überlegte, ihn nach dem Krieg zu adoptieren. Das Ende des Krieges haben jedoch weder die Familie noch Hanuš Josef Treichlinger erlebt.

Als Fünfzehnjähriger wurde er am 16.10.1944 einem Transport nach Auschwitz zugeteilt. Dort wurde er mit den anderen unmittelbar nach der Ankunft in den Gaskammern ermordet. Ein ähnliches Schicksal ereilte viele weitere Juden, von den 2 613 deportierten Juden aus den Regionen Pilsen, Přeštice, Blovice und Umgebung haben nur 209 das Kriegsende erlebt.

Das Märchen vom Sieg der Kinder und der Tiere über den bösen Drehorgelspieler wurde als musikalisches Symbol für den Holocaust berühmt. Die Kinderoper wurde zugleich von der deutschen NS-Propaganda missbraucht. Sie wurde als Bild des idyllischen, mit Vergnügungen und Spielen erfüllten Lebens der im Konzentrationslager internierten Kinder dargestellt. Es gelang sogar, auch die Inspektionsbesucher der Kommission des Internationalen Roten Kreuzes zu betrügen. Die Kindervorstellung wurde auch in dem Propagandafilm Theresienstadt– ebenfalls bekannt unter dem Titel Der Führer schenkt den Juden eine Stadt – festgehalten. Mit ihm wurde das wahre Gesicht des Ghetto- und Konzentrationslagergeschehens verschleiert. Dadurch wurde diese Oper weltberühmt. Das Opernfinale wurde zu einer Art Theresienstädter Hymne. Die Akteure und das Publikum waren sich bei jeder Aufführung sehr bewusst, was die gesungenen Texte in Verbindung mit dem märchenhaften Sieg unschuldiger Kinder gegen den bösen Brundibár bedeuten.

Gedenktafel in der Palacký-Straße
Foto: © Markéta Kolářová
Die Pilsener jüdische Gemeinde ließ am Haus in der Palacký-Straße, wo der Brundibár-Darsteller Hanuš Josef Treichlinger gelebt hatte, eine Gedenktafel anbringen. Sie erinnert an den Jungen, der zusammen mit den anderen Kindern im Ghetto sang:
»Brundibár ist besiegt, eilt davon.
Wirbelt die Trommeln, wir haben den Krieg gewonnen!!
Wer das Recht liebt

und ihm treu bleibt
und nichts fürchtet,
ist unser Freund
und darf mit uns spielen!«
Übersetzung: Kristina Veitová und Tanja Krombach

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