Mittwoch, 2. Dezember 2015

Gebürtiger Pilsener ist Physik-Nobelpreisträger

Nachdem die Stadtschreiberzeit von Wolftraud de Concini leider vorüber ist, bloggen auf ihrer Seite bis Ende des Jahres Schülerinnen des Geschichtslehrers Antonín Kolář über verschiedene Pilsener Themen. Das Projekt wurde initiiert vom Tschechischen Zentrum Berlin und vom Deutschen Kulturforum östliches Europa.
 

Wenn junge Menschen aus Pilsen auf ihren MP3-Playern Musik hören, wenn sie auf ihren Computern zuhause Daten auf Festplatten mit mehreren Gigabyte speichern, kommt es ihnen nicht in den Sinn, dass sie das alles einem gebürtigen Pilsener zu verdanken haben, der nach dem Zweiten Weltkrieg als Deutscher aus der Tschechoslowakei zwangsausgesiedelt wurde. Der deutsche Wissenschaftler Peter Grünberg erhielt im Jahr 2007 für die Entdeckung des Riesenmagneto-Widerstandeffekts (GMR-Effekt) den Nobelpreis für Physik.

Von Markéta Kolářová, Masaryk-Gymnasium Pilsen

Peter Grünberg
Foto: Armin Kübelbeck, CC-BY-SA, Wikimedia Commons
Der deutsche Physiker Peter Grünberg ist der einzige Nobelpreisträger, der in der Stadt Pilsen geboren wurde. Er erhielt den prestigeträchtigen Preis im Jahr 2007 für seine Entdeckung des Riesenmagneto-Widerstandeffekts, die er zusammen mit dem französischen Physiker Albert Fert machte. Dank dieser Entdeckung fassen zum Beispiel die heutigen PCs, MP3-Player und Digitalkameras unvorstellbare Datenmengen in einer Größenordnung von mehreren Gigabyte. Beide Forscher haben diese Entdeckung unabhängig voneinander gemacht; Peter Grünberg im Forschungszentrum Jülich und Albert Fert in Frankreich.

Der Riesenmagneto-Widerstandeffekt, eine Materialeigenschaft, die durch das Einwirken von elektrischem Widerstand auf das äußere magnetische Feld Materialwerte verändern kann, entdeckte schon im Jahr 1856 ein gewisser Lord Kelvin alias William Thomsen, als er mit Eisen- und Nickelelementen experimentierte. Auch der aus Pilsen gebürtige Wissenschaftler experimentierte später in verschiedenen Kombinationen und mehrschichtigen Strukturen mit metallischen Werkstoffen. Die Metalle fingen an, außergewöhnlich hohe Werte von Magnetresistenzen – eben den Riesenmagneto-Widerstandeffekt (GMR – Giant Magneto-Resistance) – aufzuzeigen.

Obwohl Grünberg die Entdeckung schon im Jahr 1988 machte, dauerte es fast 20 Jahre, bis er dafür eine Auszeichnung bekam. »Erst nach zehn Jahren wurde diese Entdeckung in der Praxis angewandt und es dauerte weitere zehn Jahre, bis ich dafür den Nobelpreis erhielt. Aber ich betrachte diese Verzögerung nicht als etwas Außergewöhnliches. Bei den Nobelpreisen ist es immer unterschiedlich. Manchmal wird er schon nach zwei oder drei Jahren verliehen, manchmal dauert es länger. Zwanzig Jahre sind nicht zu lang«, sagte Grünberg in einem Gespräch mit Journalisten bei seinem Besuch in Pilsen im Jahr 2008.

Die meisten Pilsener Bürger wussten nichts über die Verbindung zwischen dem deutschen Physiker und ihrer Stadt, bis zu Grünbergs Besuch im Jahr 2008. Seine Lebensgeschichte begann am 18.5.1939 eben in Pilsen. Kurz vor dem Beginn des Zweiten Weltkriegs, in der Zeit der deutschen Besetzung Böhmens, geboren als Sohn von Fjodor Grinberg und Anna, geborene Petermann aus dem Nachbarsdorf Dolní Sekyřany/Untersekerschan im Landkreis Mies. Er lebte zusammen mit seiner Familie im unweit gelegenen Dýšina, wo sie ein Häuschen gemietet hatten.

Der Physiker erinnert sich rückblickend an seine hier verbrachten Kindheitstage:
»Meine jüdische Herkunft nahm ich nicht in keiner Weise wahr. Wir waren eine katholische Familie und sprachen alle tschechisch. Als Kleinkind konnte ich nur tschechisch, deutsch habe ich erst später gelernt. Ich erinnere mich an meine Kinderjahre in Dýšina. Ich erinnere mich an den großen Garten und an die Obstbäume, insbesondere an die Kirschen, und daran, dass wir im Sommer zum Baden im Klabava-Fluss, auf dem Weg, auf dem wir dann im Winter rodelten.« 
In Dýšina verbrachte Grünberg die längste Zeit seiner frühen Kindheit, sowie bei seiner Tante in Heřmanova Huť/Hermannshütte.

Sein Vater, ein russischer Immigrant, der in den Škoda-Werken arbeitete, nahm während des Krieges die deutsche Staatsangehörigkeit an. Im Jahr 1941 änderte er seinen Nachnamen in Grünberg. Kurz nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges verstarb er in Pilsen in einem Internierungslager für Deutsche und wurde dort in einem Massengrab beigesetzt. Auf Peter wartete die Zwangsaussiedlung der deutschen Bevölkerung aus der befreiten Tschechoslowakei. Im Jahr 1946 musste er als Siebenjähriger Pilsen verlassen.

Zusammen mit seiner Mutter und seiner Schwester kam er in die westdeutsche Stadt Lauterbach. Hier absolvierte er das Gymnasium, studierte anschließend Physik in Frankfurt am Main, forschte an der Technischen Universität in Darmstadt und später an einer Universität im kanadischen Ottawa. 1984 habilitierte er sich an der Universität in Köln und Anfang der 90er Jahre wurde er zum außerordentlichen Professor ernannt. Ab 1972 hatte er mit seiner wissenschaftlichen Tätigkeit im Forschungszentrum im westdeutschen Jülich begonnen.

Im März 2008 nahm der bedeutende Pilsener Bürger aus den Händen des damaligen Oberbürgermeisters Pavel Rödl feierlich das Stadtsiegel von Pilsen entgegen. »Ich werde es im Glasschrank neben dem Nobelpreis platzieren.«

Grünberg ist der sechste Nobelpreisträger der auf dem Gebiet der heutigen Tschechischen Republik geboren wurde. Neben den beiden Preisträgern Jaroslav Heyrovský (1959 für Chemie) und Jaroslav Seifert (1984 für Literatur), sind es noch Baronin Bertha von Suttner (geborene Gräfin Kinský von Wchinitz und Tettau) und das Ehepaar Cori. Bertha von Suttner, die den Großteil ihres Lebens in Österreich verbrachte, erhielt 1905 den Friedensnobelpreis. Carl Ferdinand Cori und Gerta Theresa Cori (geborene Radnitz) erhielten diese renommierte Auszeichnung 1947 für Medizin, schon als US-amerikanische Staatsbürger. Mit Ausnahme von Peter Grünberg sind alle Preisträger in Prag geboren.

Übersetzung: Kristina Veitová und Tanja Krombach

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