Mittwoch, 9. Dezember 2015

Pilsener Henker

Nachdem die Stadtschreiberzeit von Wolftraud de Concini leider vorüber ist, bloggen auf ihrer Seite bis Ende des Jahres Schülerinnen des Geschichtslehrers Antonín Kolář über verschiedene Pilsener Themen. Das Projekt wurde initiiert vom Tschechischen Zentrum Berlin und vom Deutschen Kulturforum östliches Europa.

Pilsens letzter Henker wurde der Abdecker Matěj Kaiser, da sich der Überlieferung nach niemand mehr für den Henkerberuf interessierte. Er erlernte zwar nie das Lesen und Schreiben, dafür verstand er sich aber gut auf die Heilung von Tieren und war sogar fähig, Menschen zu behandeln. Er renkte Gelenke ein, behandelte Frakturen und kannte sich auch mit der Kräuterheilkunde aus. Seine Heilpraktiken verärgerten die Pilsener Ärzte und Apotheker gehörig, was eigentlich Kaisers Popularität nichts hätte anhaben können, wäre da nicht seine Trinksucht und Grobheit gewesen. Schließlich verfiel er dem Alkohol so sehr, dass es sogar die Hinrichtungen beeinträchtigte, weshalb er nur noch niedige Arbeiten ausführen durfte. Nach seinem Tod im Jahr 1832 wurde in Pilsen das Henkeramt abgeschafft.


Helena Matějková, Masaryk-Gymnasium Pilsen

Die Pilsener Richtstätte auf der Vedute von Gabriel Bodenehr, 1720
Pilsen hatte seinen ersten Henker bereits kurz nach seiner Gründung als Stadt, als es die Blutgerichtsbarkeit erhielt. Der Henker hatte zu keiner Zeit ein einfaches Leben und seine Stellung in der Gesellschaft war sehr umstritten. Immer musste er hinter oder direkt an der Stadtmauer leben, abseits vom städtischen Geschehen. Die Menschen verachteten ihn, denn er galt als eine unreine Person. In der Schenke saß er immer allein auf einem dreibeinigen Stuhl, trank aus einer henkellosen Tasse und in der Kirche saß er auf einer separaten Bank. Zu seinen Aufgaben gehörten nicht nur die Hinrichtungen von Sträflingen, dazu kam es in späteren Zeiten des Rückgangs des Henkerberufs nur selten, sondern er musste auch den Schinderberuf ausüben, also Kadaver begraben, für die Sauberkeit in der Stadt sorgen und streunende Hunde einfangen. Die Henker waren aber immer auch gute Heilpraktiker, da sie sich mit der Anatomie auskannten. Sie waren wohlhabend und durften Lusthäuser betreiben.

Das Pilsener Henkerhaus befand sich zwischen der heutigen Veleslavínova und der Salzgasse/Solní ulice, hier führte im Mittelalter eine schmale Sackgasse an der Stadtmauer entlang. Die Menschen nannten sie gern Henkergasse/Katovská oder Rittergasse/Rytířská, wegen des Schwerts, das der Henker für die Hinrichtungen benutzte. Sein Quartier war freistehend gebaut, so dass es mit keiner Wand die Häuser »ehrlicher Nachbarn« berührte..

Stadteigene Richtstätten waren etwas Besonderes und das Pilsener Schafott war beim Stadttor so platziert, dass man es bei der Einfahrt auch vom Fluss aus gut sehen konnte. Es war auf einer ausreichend großen Fläche angelegt, damit sich eine große Menge Zuschauer einfinden konnte. Der Henker konnte Geld verdienen an dem Interesse der Zuschauer, die gegen eine Gebühr die Leiche anschauen, ihre Tücher in ihrem Blut tunken oder sogar ein Kleidungsstück von ihr mitnehmen konnten. Mit diesen Gegenständen wurde auch heimlich gehandelt.

Der erste Pilsener Henker, dessen Name bekannt ist, war Meister Jan. Einer Erzählung nach wurde er im Jahr 1557 zur Hinrichtung eines Sträflings nach Kladrau/Kladruby gerufen. Da er als eine geächtete Person galt, musste er auf der Strecke begleitet werden, um nicht überfallen oder gar umgebracht zu werden. Am nächsten Tag fanden sich auch der Landeshauptmann, der Stadtrichter, der Kladrauer Bürgermeister, Ratsherren und neugieriges Volk ein. Es war allgemein bekannt, dass, wenn der Henker bei der Hinrichtung einen Fehler begehen würde, die Zuschauermenge ihm die Leviten lesen würde. Und so geschah es an diesem Tag auch. Er hieb zu, und der Kopf des Verurteilten blieb an der Haut hängen. Als Meister Jan klar wurde, was ihn erwarten würde, ergriff er die Flucht und alle folgten ihm. Der Richter hatte ihn nach einer Weile eingeholt und versprach ihm alles, wenn er nur die Leiche begraben würde. Jan kam wirklich zurück, um den Verstorbenen zu beerdigen. Nachdem er dies erledigt hatte, soll der Bürgermeister gerufen haben: „Jagen!“, woraufhin sich die Menge in Bewegung setzte. Innerhalb kürzester Zeit war der Henker erschlagen und so tat nicht nur der Mörder, sondern auch der Henker auf der Richtstätte seinen letzten Atemzug.

In den nachfolgenden Jahrhunderten sind aus dem Leben der Pilsener Henker nur Bruchstücke bekannt. Erst im Jahr 1689 tauchten Berichte über Bartholomäus Kvíčala auf (auch geführt als Křížek, Kříž [»Kreuz«], Kričala, Kvíčala oder Křič – es ist nicht bekannt, wie es zu den Namensverballhornungen kam). Durch seine Hand starb am 28. November 1695 am örtlichen Galgen der Choden-Rebell Jan Sladký Kozina. Seine Leiche verweste angeblich als Mahnung noch über ein Jahr nach seinem Tod auf dem Platz.

Der erste bekannte Name einer Henker-Dynastie, die in Pilsen mehr als ein Jahrhundert wirkte, war der von Jan Huss. Er selbst ist für die Pilsener nicht so bedeutend wie die Ereignisse am Hochzeitstag seiner Tochter Dorota. Sie heiratete am 31. August 1739 in der Pilsener Bartholomäuskirche den Henkersmeister Jakob Ohnesorg. Da er aber nicht einmal bei seiner eigenen Hochzeit die Kirche betreten durfte, vertrat ihn sein Freund vor dem Altar. Der Henker betete am hinteren Außenaltar des Doms. Nach dem Ende des Gebets erhob er sich und hielt sich dabei an einem der Engel an dem schmiedeeisernen Gitter fest. Dieses Ereignis blieb nicht ohne Zeugen und so verbreitete sich schnell die Nachricht über die mit den Heilkräften des Henkers in Verbindung gebrachte Wunderwirkung des Pilsener Engels, auch als »Ošahánek« bekannt. So wurde eine der bekanntesten Traditionen in Pilsen geboren, nach der das Engelchen von den Pilsenern als Glücksbringer berührt wird.

Der Henker kniete am Tor, dann berührte er das Gitter und stand auf – die Legende vom glückbringenden Engelchen war geboren.
Die verschieden Aufgaben der Henker verdeutlicht auch ein Ereignis im Jahr 1751, als sich der Pilsener Henker Bartholomäus Huss zusammen mit seinem Knecht um einen erhängten Selbstmörder kümmern musste. Der Henker musste ihn zuerst abschneiden und sein Helfer warf ihn dann samt Bett und seinen anderen Habseligkeiten aus dem Fenster. Es bildete sich schnell eine Schar von Schaulustigen, die aber nicht näher kamen, um nicht durch Berührung ihre »Ehrlichkeit zu verlieren.« Der Knecht lud dann den Verstorbenen und seine Sachen auf einen Karren geladen, verscharrte ihn auf dem Schindanger und verbrannte seine Habseligkeiten.

Nachdem die Familie Huss in der männlichen Linie ausgestorben war, wurde ein sogenanntes »Auswahlverfahren« ausgerufen. Der einzige Interessent war der eingangs erwähnte Matthias/Matěj Kaiser, der, genauso wie viele andere Henker, eine große Vorliebe für den Alkohol hegte. In seiner zwanzigjährigen Tätigkeit als Henker führte er nur vier Hinrichtungen durch, fast alle erfolglos. Bei der letzten war er sogar gezwungen, den mit dem Kopf auf dem Klotz liegenden Mörder eigenhändig zu erwürgen. Nach dieser Hinrichtung wurde ihm keine weitere mehr anvertraut. Nach seinem Tod im Jahr 1831 bewarb sich sein minderjähriger Sohn um die Stelle und versprach, sich ordentlich ausbilden zu lassen. 

1833 wurde die Stelle des Pilsener Henkers jedoch endgültig abgeschafft. Später warb die Stadt immer einen Henker von außerhalb an und sparte somit jährlich 64 Goldgroschen, 16 Meter weiches Brennholz, 300 kg Roggen, 8 Zentner Heu und 6 Zentner Stroh. Die Ausstattung des Henkerhauses wurde an einen umherziehenden Trödler verkauft, die Dinge machten der Stadt angeblich Schande. Ins Pilsener Museum gelangte nicht allzuviel davon. Die Bleibe des Henkers wurde dann versteigert, mehrmals verkauft und 1854 schließlich abgerissen. Im 19. Jahrhundert verschwand auch die mittelalterliche Gasse entlang der Burgmauer. Die letzte zivile öffentliche Hinrichtung in der damaligen Habsburgermonarchie fand auch in Pilsen statt, im Jahr 1871. Doch da übte das Grundstück mit der Parzellennummer 197 mit seiner geheimnisvollen Geschichte schon längst keine Wirkung mehr auf die Pilsener aus.

Übersetzung: Kristina Veitová und Tanja Krombach

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