Donnerstag, 30. Juli 2015

Zwei neue Kulturbaustellen


Pilsen ruht sich nicht aus

In Pilsen gärt es immer. Das ist natürlich keine Neuigkeit in einer Stadt, die in aller Welt als Biermetropole bekannt ist. Aber auch in der Pilsner Kulturszene gärt es. Was man seit der Eröffnung des Kulturhauptstadt-Jahres bemerken kann. Besonders erfreulich ist aber die Tatsache, dass die westböhmische Stadt sich nicht auf den Lorbeeren ausruht, die sie sich seit Jahresbeginn mit reichen, interessanten Veranstaltungen zu Kunst, Theater, Musik und Literatur rechtschaffen verdient hat, sondern dass sie – obwohl die zweite Halbzeit schon angepfiffen worden und im Gange ist – immer noch neue Projekte auf den Plan bringt.

Zum Beispiel die Adolf-Loos-Interieurs. Ich habe in meinen Texten schon zweimal davon erzählt: einmal etwas ablehnend der Person und dem Privatleben von Loos gegenüber, das andere Mal voller Begeisterung und Hochachtung vor der Leistung dieses böhmisch-österreichischen Architekten und Designers, aber auch voller Trauer über das Geschick seiner jüdischen Auftraggeber.

Auf Adolf Loos aber komme ich hier noch einmal zurück. Das Westböhmische Museum lässt derzeit eine Wohnung restaurieren, die sich über zwei Etagen einer Villa in der Klatovská třída Nr. 110 hinzieht. Das äußerlich (noch) unauffällige Haus – wie alle Bauten mit Adolf-Loos-Interieurs – war in den zwanziger Jahren des vorigen Jahrhunderts für  leitende Angestellte der Ṧkoda-Werke erbaut, dann aber 1932 von Oskar und Jana Semler gekauft worden (eine jüdische Unternehmerfamilie, die dem Holocaust rechtzeitig durch Emigration entging). Und sie beauftragten Adolf Loos mit dem Entwurf der Inneneinrichtung, die aber wohl überwiegend von dessen Mitarbeiter Heinrich Kulka ausgeführt wurde (Loos starb 1933).

Die künftige Pilsner Sehenswürdigkeit (geplant ist auch die Einrichtung eines Dokumentationszentrums zur Pilsner Architektur vom 19. bis zum 21. Jahrhundert)  ist heute noch eine Baustelle. Doch gerade durch das Provisorische und Noch-nicht-wieder-Fertige, durch den stellenweise abgekratzten Lack der originalen Möbel, die von alltäglichem Gebrauch zeugen, durch die in Loos’ Lieblingsfarben Rot und Gelb lackierten, aber noch nicht angeschlossenen Heizkörper, durch die noch nicht gereinigten Schubladengriffe und die teilweise noch auszubessernden Schränke und Kredenzen, Fußböden und Wandverkleidungen vermittelt sie stärkere Emotionen, als sie dann die geschniegelten und gestriegelten Wohnungseinrichtungen geben. Im Oktober sollen die weiten Räume öffentlich zugänglich sein. Bei dem, was Pilsen in diesem Jahr an Effizienz gezeigt hat, glaube ich das ohne Vorbehalte.

Außenansicht der Semler-Villa in der Klatovská třída Nr. 110

Jan Brčák führt uns durch die von Adolf Loos entworfene Wohnung



Adolf Loos liebte farbige Heizkörper ...




... edle Materialien und klare Linien.

Originale Warmwasserrohre in einem der Badezimmer


Wunderschöne Glasgriffe an einer alten, leicht abgenutzten Kredenz



Im Toilettentisch spiegeln sich Tereza Svášková und Jan Brčák.

Und hier noch ein Porträt meiner treuen Begleiterin Tereza Svášková


Dann „Moving Station“, der ehemalige Südbahnhof „Plzeň Jižní předměstí“ (eigentlich: Pilsen Südvorstadt) als Kulturfabrik. Er war seit seinem Entstehen in den Jahren 1903/1904 eine Haltestelle an den Bahnstrecken Wien–Eger/Cheb und Prag/Praha–Furth im Wald, auf denen zur Zeit der Donaumonarchie viele Züge verkehrten.

Doch mit der Zeit verwahrloste der Bahnhof wie auch sein gleich nach Ende des Ersten Weltkriegs angelegtes Pendant, fand aber vor einigen Jahren das Interesse des Kulturvereins „Centrum Johan“. So wurde es wieder lebendig um das Gebäude, das zu experimentellen, alternativen Theater- und Tanzveranstaltungen genutzt wurde. Und jetzt wird es renoviert, mit großem Aufwand an Geld und moderner Technik.

Petr Beránek, der technische Leiter des neuen Projekts, hatte mir in dem von mir so gern besuchten Bistro Inkognito – wo ich ihn aus einem ganz anderen Grund angesprochen hatte – eine Werbebroschüre in die Hand gedrückt: „SPLNĚNÝ SEN – Moving Station se proměňuje“ (Ein Traum verwirklicht sich – Moving Station verwandelt sich). Ich fand das Unternehmen hochinteressant, und vor einigen Tagen durfte ich auch hier auf die Baustelle: provisorische Bretterpassagen, wacklige Stufen, Plastikplanen überall, Geruch nach Staub und Zement und Farbe. Vieles ist fertig, die zentrale, zweigeschossige Dvorana beeindruckt schon jetzt mit ihren modernen Stahl-Beton-Strukturen. Es herrschte Hochbetrieb, denn die offizielle Eröffnung dieser neuen, faszinierenden Bühne für Theater und Tanz, Tagungen und Ausstellungen ist für den 12. September angesetzt. „Grand opening“ – wie Petr Beránek mir heute mailte. Aber auch das wird Pilsen schaffen.

Petr Beránek, der technische Leiter von „Moving Station“

Hier nachfolgend mehrere Ansichten von den Restaurierungsarbeiten im ehemaligen Südvorstadt-Bahnhof in Pilsen, bei denen Tradition und Moderne in besten Einklang gebracht werden:
 











Meinen Hund Zampa scheinen die schicken roten Hosen von Petr Beránek mehr zu interessieren als die superteuren handgearbeiteten Fliesen, mit denen die Räume gepflastert werden.




Mittwoch, 29. Juli 2015

Gemeinsam lernen

Deutsch-tschechische Volksschule an der Grenze

Eine (nicht mehr ganz aktuelle) Nachricht, die ich von Radio Prag* übernehme, einer meiner zuverlässigsten Quellen in Tschechien.

Mit Beginn des kommenden Schuljahres soll es in Železná Ruda/Markt Eisenstein, an der Grenze zwischen dem Bayerischen Wald und dem Böhmerwald, eine tschechisch-deutsche Volksschule geben, die erste dieser Art.

Bürgermeister Michal Šnebergr aus dem tschechischen Železná Ruda und Bürgermeister Charly Bauer aus dem deutschen Bayerisch Eisenstein haben dies vor Kurzem vereinbart. Die Grundschule in Bayerisch Eisenstein war aus Schülermangel geschlossen worden, während die relativ neue Schule in Železná Ruda sehr viel weniger Schüler hat, als sie aufnehmen könnte.

Also, was tun? Vorbildliche, beispielhafte grenzüberschreitende Vereinbarung: Die bayerischen Schüler begeben sich in den nur zwei Kilometer entfernten tschechischen Nachbarort statt ins 15 Kilometer entfernte Zwiesel. Und in der Schule werden sie, gemeinsam mit ihren tschechischen Mitschüldern, zweisprachig unterrichtet.

Das Projekt sollte erst im kommenden Jahr anlaufen, aber es besteht auf beiden Seiten so großes Interesse, dass schon mit dem Schuljahr 2015/2016 gestartet wird.

Ich gehe demnächst auf Italienurlaub (auch eine Stadtschreiberin darf das), werde mir aber die Schule gleich nach Unterrichtsbeginn persönlich anschauen und mit beiden Bürgermeistern sprechen. Ein Projekt zu gegenseitigem Kennenlernen und Verstehen und zum Abbau von Sprachbarrieren, das nicht übergangen werden darf

* Radio Prag: Gemeinsam lernen. Železná Ruda und Bayerisch Eisenstein wollen eine tschechisch-deutsche Grundschule

Samstag, 25. Juli 2015

Ein Tag – viele Begegnungen


Blick auf den Hochaltar der Wallfahrtskirche zur hl. Anna bei Planá
  
Das Annenfest in Planá

Es hatte sehr feierlich begonnen. Mit einer deutsch-tschechischen Prozession – Bewohner aus dem bayerischen Mähring hatten sich unterhalb der Kirche mit Bewohnern aus dem böhmischen Planá getroffen – und einem gemeinsamen Gottesdienst in der Barockkirche zur heiligen Anna bei Planá, einem Städtchen südlich von Marienbad.

Emporen in der barocken Kirche zur hl. Anna

Zum 26. Mal fand diese Wallfahrt in diesem Jahr statt. Denn wenige Monate nach der „Wende“ hatten Deutsche und Tschechen hier erstmals zu gemeinsamem Beten und Singem zusammengefunden. Der diesjährige Gottesdienstes, in dem viel von Asylbewerbern und deren Aufnahme die Rede war, wurde von Monsignor Reinhard Hauke aus Erfurt zelebriert, dem Beauftragten für die Vertriebenen- und Aussiedlerseelsorge in Deutschland.
Reinhard Hauke, der Bischof für die Vertriebenen

Ein „Bischof für die Vertriebenen“? „Ja“, antwortet Monsignor Hauke auf meine Frage. „Man muss die Erinnerung an die Vertreibung auch bei der nachwachsenden Generation wachhalten, damit dieses Kapitel der Geschichte nicht in Vergessenheit gerät“. Als Kind einer aus Schlesien vertriebenen Familie liegt ihm das Thema sehr nahe, und er beurteilt es als sehr positiv, was auch ich schon mehrmals unterstrichen habe: Dass sich auch in Tschechien junge Leute mit dem Thema der Vertreibung objektiv und ohne Scheuklappen auseinandersetzen. Die positiven Auswirkungen der Vertreibung? Hatte ich da bei der Predigt richtig gehört? Zur Sicherheit hake ich noch einmal nach: Ja, Bischof Hauke ist überzeugt, dass die Vertriebenen den Städten und Dörfern, in denen sie aufgenommen wurden, Aufschwung gegeben haben und dass junge Aussiedler sich in ihrer neuen Heimat Lebenswege und Karrieren aufgebaut haben, die ihnen in der alten Heimat vielleicht verschlossen gewesen wären.

Doris Thomas
Nach der Stärkung der Seele in der bis auf den letzten Platz gefüllten Kirche dann auch etwas zur Stärkung des Leibes. Beim Anstehen zu Bier und klobasa, einer deftigen tschechischen Bratwurst, komme ich mit einer Nachbarin ins Gespräch: Bei der Ausweisung aus Planá – sie war damals ein Jahr alt und das jüngste von vier Kindern – habe das ehemalige Kloster unterhalb der Kirche hier für sie das letzte Obdach auf heimatlich-böhmischem Boden dargestellt. Aber die Tschechen hätten der vaterlosen Familie geholfen, so viel sie nur konnten. Seit Jahren besucht sie – die ehemalige Gymnasiallehrerin Doris Thomas – sommerliche Tschechischkurse in Nordböhmen, kommt aus Bayerisch Eisenstein regelmäßig auf Wallfahrt zur heiligen Anna und ist um deutsch-tschechisches Verständnis und den Abbau von Vorurteilen bemüht. Auf beiden Seiten.

Dann bellen ein großer Schäferhund und mein kleiner Hund sich lautstark an. Aber auch das gegenseitige Anknurren von Hunden kann Kontakte zwischen den padroni schaffen. Ich schaffe Zampa weg und kehre zur Hundebesitzerin zurück: Es ist Klára Salzmann, eine tschechische Landschaftsarchitektin, die ich vor zwei Tagen in Výškovice erlebt hatte, gewissermaßen als Hausherrin einer Veranstaltung im Rahmen der Initiativen der diesjährigen Kulturhauptstadt.

Die tschechische Landschaftsarchitektin Klára Salzmann
Für mich war es eine Rückkehr nach Výškovice, das ich gleich zu Beginn meines Pilsen-Aufenthaltes besucht hatte: damals verängstigt von der Einsamkeit des fast verschwundenen Dorfes Wischkowitz, von den menschenleeren, kurvenreichen, lädierten tschechischen Straßen, die in abgelegenen Gegenden mehr asphaltierten Waldwegen gleichen als modernen Verkehrsstraßen, beeindruckt von der Verlassenheit des Ortes. Inzwischen hat Klára Salzmann in Pilsen eine Tagung zur „Wiederbelebung der deutsch-tschechischen Grenzlandschaft“ organisiert und eine instruktive dreisprachige Publikation herausgegeben. Nach Výškovice/Wischkowitz, in das einst blühende, aber 1945 ausgesiedelte und 1974 amtlich aufgelöste Dorf, kommen jetzt Besucher aus ganz Europa. Und heute steht hier – als Land-Art-Installation auf dem Geländes eines ehemaligen Bauernhofes – ein kräftiger Holztisch: zu Gottesdiensten, zu Gesprächen, zu Brotzeiten (warum nicht?). Zu gemeinsamem Zusammensein in der Erinnerung an die ehemaligen Bewohner. Wer weiß – vielleicht einmal auch mit einem der hier Geborenen.

Geselliges Beisammensein in Výškovice/Wischkowitz
Kulturell-musikalischer Höhepunkt dieses erlebnisreichen Tages war, in Anwesenheit des tschechischen Ministers für Kultur, Daniel Herman (der einige ehemalige Böhmendeutsche auf Deutsch „in ihrer Heimat“ begrüßte), ein Konzert der Cembalistin und Organistin Alena Hönigová. Sie kann – trotz ihres jungen Alters von nur 39 Jahren – schon auf eine lange Karriere und internationale Mitwirkungen zurückblicken. Und auf das musikalische Sommerfestival, das sie vor vier Jahren auf dem nordböhmischen Schloss Jezeří ins Leben gerufen hat und von dem sie mit charmanter, unwiderstehlicher Begeisterung erzählt.

Die Musikerin Alena Hönigová


Genug für einen einzigen Tag? Nein, als Abschluss gab es dann noch ein sprühendes barockes Feuerwerk, das von den Anwesenden mit vielen Ahs und Ohs aufgenommen wurde.



Zwischendurch war ich – zur Abwechslung für meinen Hund Zampa – noch etwas über Land gefahren und hatte spontane bäuerliche Land-Art bewundert.




Dienstag, 21. Juli 2015

Kein Schlossmärchen


Geschichten aus Mirošov

Es war einmal … So beginnen viele Erzählungen um Schlösser und Schlossherren. Und die meisten haben ein Happy End. Auch die Geschichte, die ich heute erzählen will, nimmt eigentlich ein gutes Ende. Aber um welchen Preis! Nach wie vielen Sorgen und Leiden, Verhängnissen und Tragödien.

Begonnen hatte es recht geruhsam und beschaulich. Eben wie die Historien um kleine Provinzstädte beginnen. Wie um Mirošov, in einer lieblichen Hügellandschaft an die 20 Kilometer östlich von Pilsen, mit einer hübschen, statuenumstandenen Barockkirche.

Die Josefskirche am Hauptplatz von Mirošov

Florian Griespek von Griespach, aus uraltem niederbayerischem Adelsgeschlecht stammender, hoher Beamter am Hof des böhmischen Königs und späteren Kaisers Ferdinand I., ließ sich hier in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts ein hübsches Renaissanceschloss errichten. Das Kastell wechselte mehrmals den Besitzer, Adelige aus der Umgebung tauschten es sich aus. Bis um 1840 reiche Steinkohlenlager entdeckt und abgebaut wurden. 

Das von einem Park umgebene Schloss Mirošov aus einer ungewöhnlichen Perspektive

Miröschau machte auf sich aufmerksam. Bankiers und andere Betuchte begannen sich für das Städtchen und seine einträglichen Gruben zu interessieren. Unter ihnen war auch der jüdischstämmige Unternehmer Bethel Henry Strousberg, der als Baruch Hirsch zur Welt gekommen war und als „Eisenbahnkönig“ des 19. Jahrhunderts in die Geschichte eingegangen ist. Er konnte gleich zwei Schlösser im Raum Pilsen erwerben – außer Mirošov auch das nahe Schloss Zbiroh (von dem ich schon einmal berichtet habe: Dort lebte 18 Jahre lang der tschechische Maler und Grafiker Alfons Mucha.). Doch das Schlossherrnleben konnte er nicht lange genießen: Zu gewagte Investitionen und unaufrichtige Berater richteten ihn zugrunde und brachten ihn um seinen gesamten Besitz.

Das hübsche Renaissanceschlösschen bekam in den folgenden Jahrzehnten neue Besitzer: den Juden Josef Maendl, der zur Protektoratszeit rechtzeitig das Land verließ, und den tschechischen Minister Ladislav Karel Feierabend. Der als Angehöriger der antideutschen Widerstandsbewegung 1940 ebenfalls das Land verlassen  musste. Nach seiner Rückkehr aus dem Londoner Exil bei Kriegsende zog er wieder ins Schloss Mirošov. Für kurze Zeit. 1948 musste er mit seiner Frau Hana (sie hatte das KZ Ravensbrück überlebt) und seinen zwei Kindern erneut ins Ausland flüchten, diesmal vor den Kommunisten.

Nach der „Wende“ wurde Schloss Mirošov der Familie Feierabend restituiert: nach dem Tod des Vaters seinen Kindern Hana und Ivo. Die es seit Jahren mit Liebe und Sorgfalt restaurieren.

Zwei Atlanten am Portal von Schloss Mirošov
 
Dies die Geschichte mit Happy End. Doch vor diesem glücklichen Ende erlebte Mirošov auch ein tragisches, verhängnisvolles Kapitel: Kurz nach Kriegsende wurden versprengte waffenlose deutsche Soldaten, auch Angehörige der SS, die sich den Amerikanern anzuschließen suchten, in Mirošov abgefangen, gedemütigt, gefoltert, ermordet und in ein Massengrab im Schlosspark geworfen. Anscheinend zu Hunderten. Selbsternannter Anführer der gewalttätigen Partisanenbande, die die Taten verübte, war František Foukal. Ich hätte ein Foto dieses Mörders gefunden, möchte es aber – nachdem ich Bilder von Wohltätern wie Nicholas Winton und Přemysl Pitter veröffentlicht habe, die Hunderte von jüdischen wie nicht-jüdischen deutschen und tschechischen Kindern gerettet haben – nicht zeigen.

War das Massengrab im gepflegten Teil des Schlossparks ...
... oder im vernachlässigten?

Mit Schloss Mirošov ziehen Bruchstücke böhmisch-tschechischer Geschichte an uns vorbei: von König/Kaiser Ferdinand I. bis zu der in jüngster Zeit erfolgten Restitution der nach dem Krieg beschlagnahmten und verstaatlichten Kulturgüter an ihre früheren Besitzer.  Dieser Teil der Geschichte ohne Happy End aber macht mir diese Adelsresidenz – bei aller Renaissanceschönheit und trotz der Hochzeiten, die jetzt hier gefeiert werden – doch unheilvoll und düster.


Auf dem Kamin der ehemaligen Brauerei in Mirošov nistet ein (auf dem Foto nicht erkennbares) Storchenpaar.



Montag, 20. Juli 2015

Kultur ohne Grenzen


Verknüpfungen zwischen Hans Eibauer und Vladimír Líbal


„Oh ja, da bin ich schon stolz drauf!“. Mit berechtigter Genugtuung erzählt Hans Eibauer von seiner Kreatur, dem Centrum Bavaria Bohemia in Schönsee.

Hans Eibauer, Schöpfer und Leiter des Centrum Bavaria Bohemia in Schönsee

Jahrgang 1948, in Schönsee in einer teils aus dem Elsass stammenden Familie geboren, wurde Eibauer 1975 – er war zwar politisch engagiert, aber erst 27 Jahre alt – zum Bürgermeister von Schönsee  gewählt. „Mit einer knappen Mehrheit“, wie er unterstreicht. Und er blieb 33 Jahre lang Stadtoberhaupt. Ohne Unterbrechung. Da mussten ihn seine Mitbürger wohl für sehr vertrauenswürdig halten.



Als Bürgermeister einer oberpfälzischen Grenzstadt hat Hans Eibauer natürlich auch die Zeit vor der „Wende“ miterlebt. Den Mangel an Beziehungen, an Perspektiven. „Die Welt war hier zu Ende. Alles ging und blickte nach Westen“, erinnert er sich. Wo es keine Stacheldrahtverhaue gab, keine Wachtürme, keine bis 1989 unüberwindliche Grenze. Die aber im „kleinen Grenzverkehr“ (wenn sich Kühe nicht um die Grenzzäune gekümmert hatten und zu illegalen Grenzgängern geworden waren) mit Pragmatismus und gesundem Menschenverstand gelöst wurden. Ohne Einbezug, ja ohne Billigung der offiziellen Stellen. 


Eine alte, heute überflüssige Tafel an der Grenze in Friedrichshäng: „Achtung! Staatsgrenze“

Doch dann kam es Ende 1989 in der Tschechoslowakei zur „samtenen Revolution“, zum Wechsel von der kommunistischen Diktatur zur Demokratie. Am 9. November 1989 fiel die Berliner Mauer, am 23. Dezember 1989 trafen sich Hans-Dietrich Genscher und Jiří Dienstbier, der deutsche und der tschechoslowakische Außenminister, an der deutsch-tschechischen Grenze zwischen Waidhaus und Rozvadov und zerschnitten mit einer Eisenschere den Stacheldrahtverhau. Und am 3. Januar 1990 gab es das erste grenzübergreifende Bürgermeistertreffen im grenzberührenden Dorf Schwarzach bei Schönsee: Außer Hans Eibauer als Gemeindeoberhaupt von Schönsee waren auch die tschechischen Kollegen aus Bělá nad Radbuzou/Weißensulz, Poběžovice/Ronsperg und Hostouň/Hostau eingetroffen. „Hände reichen – Grenzen streichen“ wurde zum Slogan des neuen Zusammenlebens.

Es begannen Freundschaften, Partnerschaften und Ideen zu gemeinsamen Projekten. Hans Eibauer suchte nach einer konkreten „Verknüpfungsstätte“ und fand sie in einer ehemaligen Brauerei in desolatem Zustand. 2006 konnte, nach politischen und administrativen Hindernissen, das Centrum Bavaria Bohemia mit seiner kulturellen Tätigkeit über alle Grenzen hinweg beginnen. Allen Skeptikern zum Trotz. 

Der „Wunschbaum“ vor dem Centrum Bavaria Bohemia

Vor dem architektonisch gelungen gestalteten Centrum steht seit 2012 ein von zwei Künstlern aus Cham, Andi Dünne und Philipp Klein, ersonnener „Wunschbaum“, weitere acht wurden in diesem Jahr, im Zuge des Kulturhauptstadtprogramms Pilsen2015, auf tschechischer wie deutscher Seite aufgestellt: zum Versiegeln von Wünschen. Einer gibt der deutsch-tschechischen Grenze bei Friedrichshäng Farbe, direkt neben dem ehemaligen, ehemals unüberwindlichen Schlagbaum. Am Weg, der in das Nicht-mehr-Dorf Plöß führt. Ich bin hingewandert nach Pleš, wo ein Onkel von mir in den zwanziger Jahren einige Monate lang Geistlicher war, in einem damals blühenden Dorf. Aber davon ein anderes Mal.

Einer der Vorzeigekünstler des Centrum Bavaria Bohemia ist Vladimír Líbal. Hans Eibauer zeigt mir einige Karikaturen dieses jetzt 61-jährigen tschechischen Künstlers, die mich sofort begeistern: die Ideen, die feine Ironie, die zarten und doch entschiedenen Umrisse, die feinnervigen Striche, die an Paul Flora (1922–2009) erinnern, den großen Tiroler Zeichner und Karikaturisten.



Vladimír Líbal

Ich verabrede mich mit Vladimír Líbal in Pilsen, wo er als Verantwortlicher für die Kulturprojekte Pilsen2015 im Rathaus sitzt. Wir treffen uns in einem Kaffeehaus. Natürlich. Und nach zwei Minuten ist er für mich ein Mythos. Er hat die Charta 77 * unterzeichnet und er kam als Dissident ins berüchtigte Gefängnis in Pilsen-Bory. „Nur zwei Tage“, bemerkt er, „Freunde von mir saßen dort zwei, drei Jahre.“ Aber er ist der erste Charta-77-Unterzeichner, den ich kennenlerne, und der erste mir persönlich Bekannte, der bis zu Prozess und Verhaftung für seine politischen Ideen eingestanden ist. Allerdings wirkt er nicht wie ein Mythos: Er ist einfach ein freundlicher, mit dem Zeichenstift beißender Karikaturist.


Für das Centrum Bavaria Bohemia hat Vladimír Líbal mehrere Postkarten zum Thema „Kultur ohne Grenzen/Kultura bec hranic“ entworfen, mit ironischen und witzigen Zeichnungen, in denen er immer wieder die deutschen und die tschechischen Nationalfarben – das Schwarz-Rot-Gold und das Weiß-Blau-Rot – miteinander verbindet, ja verknüpft. Und Hans Eibauer, der seit jeher auf der Suche nach kulturellen, politischen und menschlichen Verknüpfungen ist, hat für seine Visitenkarte eine der Vladimír-Líbal-Zeichnungen ausgewählt. 


Zwei Karikaturen von Vladimír Líbal für die Postkartenserie „Kultur ohne Grenzen / Kultura bec hranic“, herausgegeben vom Centrum Bavaria Bohemia in Schönsee


Zwei Männer, die sich über Grenzen hinweg verstehen. Der Pragmatiker und der Träumer. Oder zwei Träumer?



Auch ich verstehe mich gut mit beiden: mit Hans Eibauer (natürlich) auf Deutsch, mit Vladimír Líbal „mit Händen und Füßen“, wie wir es aus Mangel an gemeinsamen Sprachkenntnissen für den Notfall ausgemacht hatten. Mit Líbal verbindet mich auch die Liebe zu Kaffeehäusern, in denen wir – mitten unter den Menschen und doch von ihnen abgesondert – gut erfinden und schaffen können. Eines aber unterscheidet uns: Er raucht zu viel, ich trinke zu viel Kaffee.

Einer der vielen türkischen Kaffees, die ich in Pilsen trinke

* Als „Charta 77“ wird die im Januar 1977 in der Tschechoslowakei veröffentlichte Petition gegen die Verletzungen der Menschenrechte durch das kommunistische Regime bezeichnet, zu deren Unterzeichnern neben vielen anderen Intellektuellen und Politikern auch Václav Havel und Jiří Dienstbier gehörten.



Sonntag, 19. Juli 2015

Von Babelsberg nach Pilsen

Dokumentarstreifen über die Stadtschreiberin

Diesen Sonntag kein Faulenzen, kein Meditieren, kein Über-Land-Fahren. Es wurde gefilmt.

Ein Team vom Babelsberger Filmgymnasium war nach Pilsen gekommen, um sich von mir die Stadt zeigen zu lassen und zu erfahren, wie es sich so als Stadtschreiberin lebt.

Wir hatten uns an einer der in die Stadt führenden Nebenstraßen verabredet, wo sie mich schon erwarteten. Mit allem filmtechnischem Werkzeug voll ausstaffiert.



Auf dem Foto ist das arbeitsbereite Team zu sehen: von links nach rechts Uwe Fleischer, Regie und Koordinator Film am Filmgymnasium, Sofia Baturov, Tontechnikerin, Annika Lorse, Redaktion und Regieassistentin, Alexander Wunsch, Kameramann, und Thomas Bühring, Filmlehrer. 

Wir haben nette Stunden miteinander verbracht. Aber niemals hätte ich gedacht, dass Gefilmtwerden so anstrengend ist. Schuld daran war sicher auch die sehr hochsommerliche Hitze. Die Temperaturen waren auch in Pilsen so angestiegen, dass die Straßen der Innenstadt ständig mit Wasser besprengt wurden, um den schon erweichten Asphalt abzukühlen.


Weitere Fotos vom Filmdreh auf unserer Facebook-Seite

Freitag, 17. Juli 2015

Westböhmen barock wiederentdeckt

Von barocken und anderen Schönheiten

Ein Highlight des unglaublich reichen Veranstaltungskalenders der Europäischen Kulturhauptstadt Pilsen ist das Programm „Neun Wochen Barock“. Kirchen und Klöster, Burgen und Schlösser, abgelegene Dörfer und viel besuchte Städte sind die Szenarien eines Mammutprojekts, das Ende Juni angelaufen ist und am 30. August zu Ende geht. Natürlich ist dabei viel barocke Musik zu hören, aufgeführt von auch international bekannten Musikern, Ensembles und Orchestern, barocke Feste werden zu Augen- und Ohrenweide, Experten halten informative Vorträge.

Zu einem Drittel ist dieses Barockfestival, das jede Woche in einem anderen Bezirk abläuft, nun schon über die Bühne gegangen.

In der ersten Woche konnten die Besucher die Nepomuk-Kirche in Nové Mitrovice entdecken,

Blick in den barocken Innenraum der Nepomuk-Kirche in Nové Mitrovice


in der zweiten Woche das Gebiet um die faszinierende, vieltürmige Stadt Klatovy, die vom Jesuitenbarock geprägt wird,

Türme in Klatovy: links der 81,60 m hohe Schwarze Turm aus der Mitte des 16. Jahrhunderts, daneben die zwei Türme der Jesuitenkirche, an der um die Mitte des 17. Jahrhunderts die italienischen Baumeister Carlo Lurago und Giovanni Domenico Orsi de Orsini sowie der in Böhmen, Mähren und Schlesien viel beschäftigte, einer deutschen Künstlerfamilie entstammende, aber in Prag geborene Kilian Ignaz Dientzenhofer mitgewirkt haben

in der dritten Woche die Gegend um Stod, Dobřany und Přeštice.

Auch der Entwurf zur Mariä-Himmelfahrts-Kirche in Přeštice stammt von Kilian Ignaz Dientzenhofer.

In der jetzt kommenden, vierten Woche werde ich selbst das Barockfestival intensiver verfolgen:

im verfallenen Dorf Výškovice

Die Kapelle in Výškovice hat Kriege und Vertreibungsfolgen in nicht gerade gutem Zustand überstanden.

im Kloster Kladruby

Die Fassade der Klosterkirche in Kladruby, geschaffen von Johann Blasius Santini-Aichl, Angehöriger einer aus Oberitalien nach Böhmen zugewanderten Steinmetzfamilie

und vor allem in Planá, wo die auch vom Deutschen Kulturforum östliches Europa mehrmals engagierte, bekannte tschechische Cembalistin und Organistin Alena Hönigová spielen wird (ich werde sie noch präsentieren).

Und das reiche Programm geht mit Überraschungen und Wiederentdeckungen weiter. „Barock mit allen Sinnen erleben“ ist – wie die Kuratorin Kateřina Melenová in einem kürzlichen Interview mit Annette Kraus für Radio Prag unterstrichen hat – das Motto des Festivals, das mit mehr als 120 Veranstaltungen in rund 60 Orten gastiert. Denn Westböhmen besitzt Bauten und Kulturstätten von Weltrang. Sie waren durch die politischen Verhältnisse in Vergessenheit geraten, „revanchieren“ sich aber jetzt gebührend und treten in neuem Glanz auf den Plan. Im Bereich der Denkmalpflege hat Tschechien in den letzten Jahren und Jahrzehnten unglaublich viel aufgeholt. Vieles ist getan worden, vieles wird getan und vieles bleibt zu tun. So werden Restauratorinnen wie Marcela Sloupová, die an der (natürlich barocken) Pestsäule auf dem Hauptplatz von Starý Plzenec tätig ist, nicht so bald arbeitslos werden.


Die Restauratorin Marcela Sloupová an der Pestsäule in Starý Plzenec


Als Ergänzung zu den architektonischen Barockschönheiten möchte ich – zur Aufheiterung der Gemüter vor allem meiner männlichen Leser – zwei lebende tschechische Schönheiten anfügen, denen ich in Pilsen begegnet bin.

Lenka, aus Prag ins Pilsner Land gezogen, ist im Theater- und Musikbereich tätig.


Eine namenlose Schöne im „Inkognito“ in Pilsen (ich habe vergessen, sie nach ihrem Namen zu fragen)




Mittwoch, 15. Juli 2015

Ein tschechischer Oskar Schindler


Přemysl Pitter rettete jüdische, deutsche und tschechische Kinder

„Auch über Přemysl Pitter sollten Sie einen Text schreiben. Er war zwar ein Prager und hauptsächlich in und um Prag tätig. Aber gegen Ende der dreißiger Jahre des vergangenen Jahrhunderts hatte er seinen Wirkungsbereich auch bis in die Pilsner Region ausgedehnt, genau gesagt nach Mýto bei Rokycany. Es war (natürlich) wieder Antonín Kolář, der Geschichtslehrer vom Pilsner Masaryk-Gymnasium, von dem schon mehrfach die Rede war, der mich auf dieses Thema aufmerksam machte. 

Přemysl Pitter
Přemysl Pitter? Sollte ich den kennen? Aufrichtig gesagt, hatte ich noch nie von ihm gehört. Eine Bildungslücke? Sicher. Die ich aber mit vielen seiner Landsleute teile. Denn nur relativ wenige Tschechen kennen diesen Humanisten, der sich vor, während und nach dem Zweiten Weltkrieg um tschechische, deutsche und jüdische Kinder kümmerte. Ohne Rücksicht auf ihre Herkunft und ihre Religion. Der sie zusammenbrachte und in ihnen Verständnis für die Anderen und Toleranz weckte. Der sie aber vor allem rettete. Vor Tod durch Hunger und durch Hass.

Přemysl Pitter hatte sich im Ersten Weltkrieg als Freiwilliger gemeldet. Und kam als Kriegsdienstverweigerer und Pazifist nach Hause. Dennoch verband ihn mit dem tschechoslowakischen Staatspräsidenten Tomáš Garrigue Masaryk, der ihn hätte zum Tode verurteilen können, eine langjährige gegenseitige Wertschätzung.

In Žižkov, einem armen Prager Viertel, gründete er in den dreißiger Jahren des vorigen Jahrhunderts ein Heim, in dem er Kinder von jüdischen und deutschen Eltern aufnahm. Aber auch von tschechischen Familien des Stadtviertels, die ihren Kindern wenig, zu wenig zu bieten hatten. Olga Splichalová, die erste Frau von Václav Havel, erinnerte sich ihr Leben lang an die im Milíčův dům verbrachten Tage und Wochen, in denen sie Nahrung, Wärme und Liebe gefunden hatte. Seinen Namen hatte das Haus im Übrigen nach Jan Milíč (um 1320–1374), einem tschechischen Bußprediger des Mittelalters, an dem  Pitter sich orientierte. 

Das Milíčův dům in Prag in den dreißiger Jahren des vergangenen Jahrhunderts

Auf der Suche nach einem sommerlichen Erholungsheim für „seine“ tschechischen und deutschen Kinder kam Přemysl Pitter 1938 in das Städtchen Mýto bei Rokycany. Und so haben wir uns wieder Pilsen genähert. Im Rathaus von Mýto wissen sie sofort Bescheid, als ich nach einer pamětní deska für Pitter frage: Sie wurde im Jahr 1995 an der Außenwand der am Ortsrand gelegenen Volksschule angebracht. Und der Bürgermeister des nahen Städtchens Rokycany beschreibt mir, wo ich das ehemals Pittersche Sommerhaus finden kann: Es stehe noch heute auf dem Gelände eines „Motels“ (worunter man in Tschechien eine Art Campingplatz mit hölzernen Bungalows versteht), in der baulichen Struktur unverändert, wie vor fast 80 Jahren. Přemysl Pitter ist also doch kein Unbekannter unter den Tschechen.

Das Sommerhaus in Mýto bei Rokycany

Auch nach Kriegsende setzte Přemysl Pitter seine Tätigkeit zur Rettung jüdischer, den Nazi-Konzentrationslagern entkommener Kinder und deutscher verwaister oder allein gebliebener Kinder fort. Der Staat, der seinen Bemühungen anfangs tolerant gegenüberstand, stellte ihm bei Prag vier leer stehende Schlösser zur Verfügung: Štiřín, Olešovice, Lojovice und Kamenice, in denen von Mai 1945 bis Mai 1947 mehr als 800 Kinder aufgenommen wurden. Jüdische Kinder, die abgemagert und traumatisiert aus deutschen Konzentrationslagern gekommen waren, und deutsche Kinder, die in tschechischen Lagern als Nazi-Kinder beschimpft und verunglimpft wurden und um ihr Leben fürchten mussten. Als das kommunistische Regime ihm seine Arbeit erschwerte, ja unmöglich machte, flüchtete er Anfang der fünfziger Jahre nach Deutschland. In einem Flüchtlingslager bei Nürnberg kümmerte er sich als Laienpriester um andere Flüchtlinge und ging dann in die Schweiz, wo er im Jahr 1976 starb: ein „Gerechter unter den Völkern“ – wie das Land Israel ihn würdigte.

Doch Pitter kümmerte sich nicht nur um Kinder. Er stellte sich auch der antideutschen Stimmung entgegen, die damals um sich griff, schreckte nicht davor zurück, die an den Deutschen verübten Gewalttätigkeiten der Tschechen zu kritisieren, ja er verglich die tschechischen Sammellager für Deutsche mit den Nazi-KZs. Zugleich aber nahm er Kontakte zu vertriebenen Sudetendeutschen auf und bat sie – lange vor dem Händereichen zwischen deutschen und tschechischen Politikern –, Vergebung zu üben: ein Thema, das bis heute noch nichts an Aktualität verloren hat.

Nächstenliebe und Unerschrockenheit: Es ist zu hoffen, dass diese Eigenschaften Přemysl Pitters den tschechischen Kindern verdeutlicht und beigebracht werden. Und dass besonders die Lehrer der Schule in Mýto bei Rokycany, wo die Gedenktafel für diesen tschechischen Humanisten hängt, diese Gelegenheit zu nutzen wissen.

An der Volksschule in Mýto angebrachte Gedenktafel an
Přemysl Pitter

Literaturtipp: Pavel Kohn, Mein Leben gehört nicht mir. Über Persönlichkeit und Werk des Humanisten Premysl Pitter, Prag: Verlag Vitalis 2000